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Abrechnung mit der Ampel

Wie erfolgreich die Regierung ist und warum das nicht mehr reicht.

Die Bilanz

Das Deutschlandticket wurde eingeführt

Über 10 Millionen Menschen im Monat nutzen das Deutschlandticket. Es hat dazu beigetragen, dass wieder so viele Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen, wie vor der Corona-Krise. Und ca. 8% der Ticketnutzer sind vorher nicht mit der Bahn gefahren.
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Die kalte Progression wurde abgebaut

Für viele Menschen sind sowohl die Preise als auch die Gehälter in den letzen Jahren gestiegen. Die Ampel hat die Steuern auf Einkommen so angepasst, dass von den Gehaltserhöhungen auch etwas auf dem Konto ankommt und nicht nur in höhere Steuern fließt.
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Es gibt mehr Kindergeld

Das Kindergeld wurde von 219 auf 250 Euro im Monat angehoben. Das betrifft fast 20 Millionen Kinder.
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Die Strompreise sind wieder so niedrig wie zur letzten Bundestagswahl

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat Anfang 2022 die Strompreise stark steigen lassen. Die Ampel hat diesen kurzfristigen Anstieg über die Strompreisbremsen abgeschwächt. Inzwischen sind die Strompreise wieder so niedrig, wie im Herbst 2021 (ca. 26 Cent pro Kilowattstunde). Dazu hat die Ampel u. a. die EEG-Umlage abgeschafft und Steuern gesenkt.
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Deutschland investiert stärker in Innovation mit der SPRIND

Die SPRIND ist eine Bundesagentur, die technologische Innovationen und visionäre Forschungsideen in Deutschland aufspürt und fördert. Z. B. nachhaltigen Beton, Nano-Technologien, Alzheimer- und Krebs-Therapien und wirksamere Windkraftanlagen. Die SPRIND bekommt jetzt mehr Geld und muss sich an weniger bürokratische Regeln halten.
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Das Qualifizierungsgeld finanziert Weiterbildung und sichert Arbeitsplätze

Das Qualifizierungs­geld unterstützt Betriebe, die besonders vom Struktur­wandel betroffen sind. Es funktioniert ähnlich wie das Kurzarbeiter­geld. 60 bzw. 67 Prozent des Netto­ent­geltes werden gezahlt, während man sich weiterbildet. Das erhält Arbeitsplätze, stärkt die Wirtschaft und sorgt für dringend benötigte Fachkräfte.
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Start-Ups können Mitarbeiter leichter am Unternehmen beteiligen

Junge Unternehmen können häufig noch keine guten Gehälter zahlen, müssen für gute Mitarbeitende aber trotzdem attraktiv sein. Die Ampel hat es leichter gemacht, Mitarbeitende über Aktienoptionen direkt am Unternehmen zu beteiligen. „Die neuen Regeln für Mitarbeiterbeteiligungen sind die wahrscheinlich größte Startup-Reform in Deutschland.“
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Die Ampel investiert Milliarden Euro in die Schiene

Bis zum Jahr 2030 werden die 40 am meisten belasteten Bahnstrecken saniert. Dazu zählt auch die Ausrüstung von Strecken und Schienenfahrzeugen mit einem modernen digitalen Zugsicherungssystem, das den Bahnverkehr verlässlicher macht, Netzkapazitäten erhöht und den grenzüberschreitenden Zugverkehr in Europa erleichtert.
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Günstiger Weg zur Arbeit: Die Entfernungspauschale wurde erhöht

Die Pauschale wurde von 30 auf 38 Cent pro Kilometer erhöht. Und Menschen die wenig verdienen und bisher nicht von der Entfernungspauschale profitierten, erhalten jetzt als Ausgleich eine Mobilitätsprämie.
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Die neue Abhilfeklage stärkt Verbraucher und entlastet die Justiz

Flugverspätungen, unzulässige Kontogebühren, mangelhafte Produktserien – solche Massenverfahren sind eine Herausforderung für die Justiz. Mit der neuen Abhilfeklage können diese Verfahren in Zukunft effizienter von den Gerichten erledigt werden und Verbraucherinnen und Verbraucher kommen dadurch schneller zu ihrem Recht.
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Triage definiert

Das Triage-Gesetz regelt, welche Patientinnen und Patienten noch behandelt werden, wenn z. B. während einer Pandemie nicht mehr alle Menschen behandelt werden können.
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Der Mindestlohn wurde erhöht

Anfang 2021 gab es einen Mindestlohn von 9,50 €, heute beträgt er 12,41 €, ab Januar 2025 gibt es mindestens 12,85 € pro Stunde. Das hilft fast 6 Millionen Menschen.

Die Homeoffice-Pauschale wurde erhöht

Von fünf auf sechs Euro pro Tag und ingesamt bis zu 1.260 Euro im Jahr. Das entlastet insbesondere Familien mit kleinen Wohnungen, die keine Chance haben eine eigenes Arbeitszimmer von der Steuer abzusetzen.
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Tierhaltungskennzeichnung

Ab 2025 müssen Fleischprodukte auf der Verpackung ausweisen, wie die Tiere gehalten wurden. Weil es zur Pflicht wird, tun dies viele Discounter und Supermärkte schon heute.

Rezepte für Medikamente sind jetzt digital (E-Rezept)

Wer vom Arzt ein Medikament verschrieben bekommt, braucht nur noch seine Gesundheitskarte (Krankenkassenkarte) vorzeigen. Die alten rosafarbenen Zettel braucht es nicht mehr. Das ist komfortabler, spart Arztbesuche, entlastet die Praxen und spart Papier.
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Cannabisgesetz dämmt den Schwarzmarkt ein

Erwachsene Menschen dürfen zu Hause straffrei bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis besitzen. Der Anbau in der eigenen Wohnung ist jetzt erlaubt.
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Die Rente wurde deutlich erhöht

2022, 2023 und 2024 wurden die Renten jeweils um ungefähr 5% erhöht. Das betrifft 25 Millionen Menschen in Deutschland.

§219A ist abgeschafft – Informationen zum Schwangerschaftsabbruch

Bislang machten sich Ärztinnen und Ärzte strafbar, wenn sie öffentlich Informationen über den Ablauf und die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen bereitstellten. Mit der Aufhebung des §219a ist es ihnen künftig erlaubt, etwa auf Websites sachlich über die Möglichkeit und Methode von Schwangerschaftsabbrüchen zu informieren.
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Lieferengpässe bei Arzneimitteln werden bekämpft

Damit es zu weniger Engpässen bei Arzneimitteln kommt, werden unter anderem die Produktion von Medikamenten innerhalb der EU gefördert und der Vorrat von Kinderarzneimitteln erhöht.
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Die Renten in Ost und West sind angeglichen

2023 konnten endlich die Renten in Ost und West angeglichen werden.

Studierende werden finanziell stärker unterstützt

Im Jahr 2022 hat die Ampel die das Bafög um fast sechs Prozent, den Wohnkostenzuschlag um fast 11 Prozent und die Elternfreibeträge um knapp 21 Prozent angehoben. 2024 wird das Bafög erneut um fünf Prozent erhöht. Das hilft fast eine halbe Millionen Menschen.
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Wahlalter bei Europawahl gesenkt

Wer 16 Jahre alt ist, kann ab jetzt das Europäische Parlament wählen.

Genossenschaftliches Wohnen wird gefördert

Die Förderung erfolgt durch einen zinsgünstigen Kredit mit Tilgungszuschuss. So können mehr junge Familien mit durchschnittlichem Einkommen Wohneigentum erwerben.
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Bürgergeld und Sozialhilfe sind gestiegen

Menschen, die erwerbsfähig sind, aber ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft bestreiten können, erhalten Bürgergeld. Zum 1. Januar 2024 ist es um zwölf Prozent gestiegen. Genau wie die Sozialhilfe.
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Deutschland ist unabhängig von russischer Energie

Seit Anfang 2023 ist Deutschland unabhängig von Energielieferungen aus Russland. Unser Energiebedarf wird nun durch andere Lieferquellen und zu 50 Prozent aus Erneuerbaren Energien gedeckt.
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Hinzuverdienst bei Frührentnern

Frührentner können seit 2023 beliebig viel hinzuverdienen, ohne dass ihnen die Rente gekürzt wird.
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Kleinerer Bundestag

Mit der Neuregelung durch das Wahlrecht wir die Zahl der Bundestagsmandate künftig verlässlich auf 630 begrenzt.
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Solaranlagen: Weniger Steuern und Bürokratie

Der private Betrieb einer Photovoltaik-Anlage wurde aus steuerlicher Sicht stark vereinfacht. Beim Kauf einer privaten Solaranlage für ein Wohnhaus wird seit Januar 2023 keine Umsatzsteuer mehr fällig. Gewinne aus einer privaten PV-Anlage sind in der Regel steuerfrei.
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Mehr Kinderkrankentage

Die Anzahl der regulären Kinderkrankentage erhöht sich – gegenüber den Jahren vor der Corona-Pandemie – von 10 auf 15 Arbeitstage pro Kind und Elternteil im Jahr. Für Alleinerziehende sind es statt 20 nun 30 Arbeitstage. Bei mehreren Kindern können künftig insgesamt bis zu 35 Arbeitstage pro Elternteil genommen werden oder 70 Arbeitstage im Falle von Alleinerziehenden.
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Mehr Strom aus Erneuerbaren Energien

Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbraucht ist von 46,2 Prozent im Jahr 2020 auf 51,8 Prozent im Jahr 2023 gestiegen. In diesem Jahr vermeiden Erneuerbare knapp 250 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen.
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Fachkräfte können schneller und ohne viel Bürokratie in Deutschland arbeiten

In vielen Regionen und Branchen fehlen gut ausgebildete Fachkräfte. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ermöglicht es Fachkräften aus anderen Ländern in Deutschland zu arbeiten. Deutschland orientiert sich damit an erfolgreichen Einwanderungsländern wie Kanada, Australien oder Neuseeland.
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Kinder können telefonisch krankgeschrieben werden

Wenn das Kind erkrankt, können sich Eltern seit Dezember 2013 vom Arzt telefonisch „kindkrank“ schreiben lassen und sind nicht mehr gezwungen die Arztpraxis aufzusuchen. Das ist gesünder, komfortabler und entlastet die Praxen.
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Menschen, die hier arbeiten, können schneller Deutsche werden

Einbürgerungsfristen werden verkürzt, Mehrstaatigkeit wird anerkannt. Künftig erhalten in Deutschland geborene Kinder von ausländischen Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit und die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern.
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Doppelbesteuerung von Renten wird verhindert

Steuerzahlerinnen und Steuerzahler können ihre Rentenbeiträge seit dem 1. Januar 2023 voll absetzen. Das entlastet Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und verhindert künftig die sogenannte „Doppelbesteuerung“ der Renten.
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Schienen, Straßen, Brücken, Windräder und Stromleitungen können schneller erneuert werden

Die Infrastruktur in Deutschland muss erneuert werden. Im Vergleich zu anderen Ländern, dauert es zu lang. Das liegt auch an langsamen Gerichtsverfahren. Diese Gerichtsverfahren bei Infrastrukturprojekten werden jetzt stark beschleunigt. Gerichte können Verfahren zu bedeutsamen Infrastrukturvorhaben priorisieren.
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Balkonkraftwerke ermöglicht

Privatleute können künftig Mini-Solaranlagen ohne komplizierte Anmeldung als Balkonkraftwerke betreiben.
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Die Bundeswehr wird besser ausgestattet

„Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine sicherheitspolitische Zäsur in Europa. Um Freiheit und Demokratie in Deutschland und bei unseren Bündnispartnern zuverlässig schützen zu können, brauchen wir eine gut ausgestattete Bundeswehr.“
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Günstigere Wohnungen durch Wohngemeinnützigkeit

Sozial orientierte Unternehmen, Vereine und Stiftungen können künftig vergünstigten Wohnraum bereitstellen und dabei von den umfassenden Steuererleichterungen der Gemeinnützigkeit profitieren. Voraussetzung: Die angebotene Miete muss unter der marktüblichen Miete liegen.
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Brief- und Paketzusteller werden entlastet

Die Briefmengen nehmen gerade ab, während die Paketzustellungen zunehmen. Deswegen dürfen Briefe jetzt langsamer zugestellt werden und Paketzusteller werden besonders geschützt. Pakete über 20kg müssen zum Beispiel von zwei Paketboten oder mit einem geeigneten Hilfsmittel zugestellt werden. Zugang zum Paketmarkt erhalten nur Unternehmen, die sich an die Arbeitsbedingungen auch halten.
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Steuerflucht großer Konzerne bekämpft

Große internationale Konzerne haben es leichter Steuern zu vermeiden. Die Bundesregierung hat deswegen für eine globale Mindeststeuer von 15% auf Unternehmensgewinne geworben und diese 2023 zusammen mit 130 anderen Staaten umgesetzt.
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Schnellere Genehmigungen für Industrie- und Erneuerbare-Anlagen

Die Genehmigungsverfahren für den Bau von Windkraftanlagen und von Anlagen zur Herstellung von Grünem Wasserstoff werden erheblich beschleunigt.
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20 Milliarden Euro für mehr Chancengerechtigkeit an Schulen

Schulen mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern werden besonders gefördert.
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Ampel ermöglicht es Vereinen und Parteien Versammlungen online abzuhalten

Vorstände von Vereinen und Stiftungen können die Versammlung in einer hybriden Form einberufen. Auch die Durchführung einer virtuellen Versammlung ist nun vereinfacht ohne Satzungsänderung möglich. Damit werden Mitgliedschaftsrechte gestärkt, bürgerschaftliches Engagement gefördert und bürokratischer Aufwand für Mitglieder, Vereine sowie Registergerichte, bei denen Satzungsänderungen einzureichen wären, gesenkt.
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Wohngeldreform

Seit dem 1. Januar 2023 haben drei mal so viele Haushalte Anspruch auf Wohngeld wie zuvor. Das betrifft ca. 4,5 Millionen Menschen mit kleinen Einkommen. Es profitieren vor allem Familien, Alleinerziehende sowie Seniorinnen und Senioren. Im Schnitt ist das Wohngeld jetzt doppelt so hoch wie zuvor.
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Hand aufs Herz: Das ist überraschend gut, oder?

Aber diese Bilanz entspricht überhaupt nicht der Empfindung vieler, wenn sie an diese Regierung denken. Woran liegt das?

Ein paar Gründe liegen auf der Hand und sind sicher in Maßen auch wahr: Die Koalition streitet viel, das kommt selten gut an. Der Kanzler erklärt wenig, obwohl sich so viel verändert. Und ein paar Dinge, wie das „Heizungsgesetz“ waren auch einfach schlecht gemacht. Die Punkte kann man alle nutzen, wenn man irgendwie parteipolitisch Land gewinnen will, aber als Analyse ist das doch recht dürftig.

Weder Rot-Grün („Koch und Kellner“) unter Schröder, noch Schwarz-Gelb („Gurkentruppe!“, „Wildsau!“) unter Merkel oder die späte Große Koalition („so attraktiv wie Fußpilz“) waren besonders harmonische Bündnisse. Merkel hat sich und ihre Politik notorisch wenig erklärt. Und das ein großes Reformvorhaben erstmal scheitert ist bitter, aber sicher nicht außergewöhnlich.

Also noch mal: Warum reicht diese Bilanz nicht aus?

Der Pessimismus hat langsam aber stetig über und in der Politik gesiegt. Und diesen Trend umzukehren ist wahrscheinlich deutlich schwieriger als die Regierungskommunikation etwas aufzubessern. Auch und gerade weil immer einige Akteure von diesem Trend profitieren.

Der Pessimismus klingt überspitzt formuliert so „Wenn wir noch etwas mehr verzichten, wird die Zukunft vielleicht etwas weniger schlimm.“ Und so: „Wenn wir weniger verändern, wird es vielleicht ein bisschen mehr, wie es früher einmal war.“

Die beiden Sätze beschreiben ernstgemeinte politische Visionen und eine seit Jahrzehnten wachsende Stimmung vieler Menschen. Sie überwinden Parteigrenzen und Generationen. Die Sätze sind zukunftszermürbende Visionen. Und sie gewinnen Gefolgschaft.

In den USA und UK wird das Phänomen aktuell unter „The Death of Deliverism“ besprochen.

Sie zeigen sich in sinkenden Zustimmungswerten zu Institutionen, Personen und Parteien. Auf Plakaten der Extremisten, die Dinge, die es nie waren, wieder großartig machen wollen, und auf Magazin-Covern, die alle halbe Jahr den verfrühten Abgang der aktuellen Regierung beschwören. In Comedy-Formaten, die so tun als gäbe es in Wirtschaft und Politik nur Deppen und Teenagern auf TikTok, die wahlweise Deutschland oder den gesamten Planeten am Abgrund sehen.

Dieser Pessimismus hat sich so sehr breit gemacht, dass wir die „guten Nachrichten“ in abgesonderten Medienformaten aufbereiten. „Ach und hier ist auch noch was Hoffnungsvolles!“

Er zeigt sich beispielhaft an einem einzigen Wort: Mehr.

Mehr? Lieber nicht zu viel wollen.

Das Wort Mehr hat einen schlechten Ruf bekommen. Mehr zu wollen, bedeutet gierig zu sein. Finanzhaie und Vermieter wollen mehr. Mehr zu wollen, bedeutet „kommerziell“ zu sein. Konzerttickets kosten immer mehr. Mehr zu wollen, bedeutet nicht nachhaltig zu leben. Ein Kleidungsstück mehr zu kaufen, als man wirklich braucht. Die Flugreise, die Gehaltsforderung, die Staatskredite, die Konzernprofite, das Stück Fleisch, das zusätzliche Weihnachtsgeschenk. Mehr ist immer gleich zu viel. Stattdessen müssen wir den Gürtel doch enger schnallen. Schwäbische Hausfrau ladida.

Diese pessimistische Lesart des Mehr hat sich verbreitet. Sie entstand, weil wir es als Menschheit (zu einem Teil) geschafft haben nicht mehr ausschließlich gegen den Mangel an Nahrung, Dächern, Gesundheit und allem anderen anzukämpfen. Zu viel Mehr kann erst als Problem erscheinen, wenn man bereits so einiges hat. „Die Sozialdemokratie hat sich zu Tode gesiegt“ ist dann auf einmal ein Satz, der irgendwie Sinn ergeben soll.

Das ist ein Ursprung des Pessimismus. Ein anderer findet sich in der Klimakrise.

Der Rückschlag auf unsere Fortschrittsgeschichte

Von manchen Dingen, gibt es ja unbestreitbar zu viel. Zum Beispiel zunehmend zu viel CO2 in der Atmosphäre. Von der Klimaerwärmung möchte wirklich niemand mehr.

Die Erkenntnis, dass Treibhausgase die Erdatmosphäre erhitzen, war einerseits der größte Erfolg im Kampf gegen die Klimakrise und andererseits der größtmögliche Rückschlag für unsere Erzählung vom Fortschritt – einer der wichtigen Quellen des Optimismus. Die Dinge, von denen wir mehr wollten (Nahrung, Kleidung, Dächer, Gesundheit, Mobilität, Komfort, Unterhaltung usw.), die wir endlich erreichten und die unser Leben substanziell besser machten, waren auf einmal verantwortlich für unseren potentiellen Untergang. Wir hatten für all das Mehr unsere Welt verfeuert. Hatten wir zu viel gewollt?

Seitdem ist uns die Leichtigkeit der alten Fortschrittserzählung abhanden gekommen. Das fühlt sich nicht nur so an, es lässt sich messen. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts werden in englisch-, französisch- und deutschsprachigen Büchern zunehmend weniger optimistische und mehr pessimistische Begriffe verwendet. Das erste mal seit Jahrhunderten.

Erzählungen sind wirkmächtiger als Daten

Und das obwohl es den meisten Menschen weiter stetig besser ging. Weniger Armut, weniger Ungleichheit, mehr Gesundheit, irgendwann auch mehr Umwelt- und Klimaschutz. Es fällt vielen Menschen schwer den stetigen und noch möglichen Fortschritt zu erkennen und sehr viel leichter pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Das Positive versteckt sich häufig hinter Daten, das Negative wird in wirkmächtigen Geschichten erzählt.

So hat sich langsam der Gedanke eingeschlichen, dass jeder Fortschritt automatisch auch Rückschritt mit sich bringt. Sich beides Mehr oder Weniger aufhebt. Beim technischen Fortschritt wird das besonders deutlich. Die Kernenergie hier, die Atombombe da. Die Erkundung des Weltraums und die verantwortungslose Flucht vom Planeten. Günstige Lebensmittel führen zur Lebensmittelverschwendung. Das Plastik und die Verschmutzung der Meere.

Die pessimistischen Erzählung wirft alles gekonnt in einen Topf. Lieber nicht so viel wollen, es führt ja zu nichts.

Im Jahr 2017 gingen laut einer IPSOS-Umfrage nur 18% der Deutschen davon aus, dass es der Menschheit in den nächsten 15 Jahren besser gehen wird. 41% gingen davon aus, dass es in Zukunft schlechter würde.

In Bezug auf den langfristigen menschlichen Fortschritt ist diese Einschätzung einfach irre. Wir hören nur so viel von den noch vorhandenen Problemen, den schief gelaufenen oder gescheiterten Fortschrittsversuchen, den unerwarteten Nebenwirkungen und aller möglichen Restrisiken, dass kaum noch wer sieht und sagt, was unbestreitbar war ist: Die Welt wird besser. Und sie kann noch besser werden!

Pessimismus als Trend ist eine Gefahr für die Demokratie

Diese verzerrte Sicht auf die Welt, ist in zweierlei Hinsicht gefährlich. Es gibt erstens bei Menschen, die populistische und rechtsextreme Parteien unterstützen ein Muster: Sie sehen ihre eigene Zukunft und die ihres Landes pessimistisch. Es gibt zweitens keinen Fortschrittsautomatismus. Wenn keiner für ihn kämpft, davon erzählt, niemand Mehr will und keiner etwas wagt, geschieht auch nichts.

Und es gibt ja weiterhin Dinge, von denen wir in großer Mehrheit mehr wollen. Die auch in Deutschland noch besser gingen. Wir brauchen zum Beispiel mehr Pflegekräfte, mehr Kitaplätze, mehr Bus- und Bahnverkehr, Handwerkerinnen, Schienen, Brücken, Straßen, Geld in den Gesundheits-, Renten- und Pflegekassen, Radwege, digitale Verwaltungsdienstleistungen, mehr freie Zeit, moderne Schulgebäude, Hausarztpraxen und mehr Wohnungen. Um den durchaus noch vorhandenen Mangel nur mal kurz anzureissen.

Warum sollten diese Wünsche für uns nicht erreichbar sein? Ist das wieder zu viel gewollt? Nichts in der Vergangenheit deutet darauf hin, dass wir all das nicht schaffen könnten. Aber in der Politik erzählen nur wenige von vergangenen Erfolgen und noch weniger vom besseren Übermorgen. Der umgreifende Pessimismus hat viele kleinmütig gemacht.

Demokraten müssen dieser Stimmung in der politischen Auseinandersetzung mehr entgegen stellen, als das, was gerade parlamentarisch möglich zu sein scheint. Es braucht wieder mehr konkrete Utopien (im Plural!) – längerfristige, erreichbare und mehrheitsfähige politische Ziele – die diese Wünsche adressieren und den Rückschlag der Klimakrise auf unsere Fortschrittsgeschichte heilen. Politik muss glaubhaft beantworten, wie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wieder mehr möglich wird. Sie braucht mehr Ambition.

Die Zukunft muss nicht weniger schlimm werden. Sie kann auch sehr viel besser werden. Die beste! Es ist jetzt wieder Zeit, von diesem Anspruch des Mehr-Wollens zu erzählen. Nicht wegen der Zustimmungswerte zu einer Regierung, sondern um die Demokratie zu stärken und dem Fortschritt den Weg zu bereiten.

Eine gute Bilanz allein reicht nicht mehr. Es braucht eine Trendumkehr.

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Von Frédéric Ranft

Ich gestalte Kommunikation.

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