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Martin Freeman, zwei Bühnen und das Selbst

Ein berühmter und beliebter Schauspieler spricht direkt an das britische Publikum, und erklärt wer die wichtigste Wahl im Land gewinnen soll. Kann Jemand, dessen Beruf es ist eine Rolle anzunehmen, das glaubhaft tun?

Inszenierte Authentizität

Damit der Coup gelingen kann nehmen die Strategen von Labour, für die Martin Freeman werben soll, mehrere Hürden in der Inszenierung.

1. Die Vorderbühne

Zum Einen ist da die weiße Wand vor der wir Martin Freeman sprechen sehen. Wahrheit funktioniert vor Weiß am besten. Die Farbe ist wertfrei, rein und unschuldig. Vor ihr kann man nicht lügen. Ein Professor James Moriarty würde nie vor einer weißen Wand sprechen, und Smaug fliegt auch lieber durch die Dunkelheit der Nacht.

Freeman steht in einem Raum in dem gar nichts dunkel ist. Er wird im Studio ausgeleuchtet wie Morpheus, der Neo zum ersten Mal über die Wahrheit der Welt aufklärt. Während im Fernsehen die düstere Lüge gesendet wird, erklärt Morpheus vor dem weißen Hintergrund wie die Welt wirklich ist. Und bei all dem hellen Licht lenkt kein einziger Schatten von der Wahrheit ab. Die haben schon im Höhlengleichnis gelogen.

„You’ve been living in a dreamworld, Neo.“

Nun ist Freeman nicht Neo, und es wurde wahrscheinlich auch keine Labour-rote Pille geschluckt um in den weißen Raum zu gelangen. Damit der Wahlwerbespot glaubhaft bleiben kann, muss Martin Freeman aber als Martin Freeman — ohne Drehbuch und Rolle — diesen Raum betreten. Als Schauspieler wird er für das Lügen ja bezahlt. Gerade dann, wenn keine Film- sondern eine Fernsehkamera auf ihn als Privatmann zielt, und er erzählen muss wie toll es am Filmset war und wie großartig der Film geworden ist.

2. Die Hinterbühne

Für diesen Fall gibt es bei Theater und Film einen uralten Trick. Die Inszenierung gibt sich dokumentarisch und zeigt uns die Hinterbühne.

Die Kamera wackelt wenn wir mit Martin Freeman das Studio betreten, im Studio wird noch gearbeitet, wir hören die Absprachen des Teams, keine musikalische Untermalung, und der Hauptdarsteller wirkt auf einmal seltsam unsicher vor der Kamera. In diesem Moment werden wir aus Betrachtern Beteiligte. Wir sind fortan eingeweiht.

Dass muss doch jetzt der echte Martin Freeman sein! Nichts wird versteckt, alles wird offen gelegt. Labour zeigt uns sogar die Tonangel und die Studiolampen. Mehrfach. Totale Transparenz.


Jetzt haben wir den wirklich echten Martin Freeman, frei von trügerischen Schatten vor einem Hintergrund, der die Wahrheit verspricht. Freeman for Labour, Bühne frei und go!

„Hello. Now… we are in the run-up to a general election. And over that time you’re gonna hear loads of claims from people on the left, on the right, all over the place. It’s gonna drive you mad. It’s probably gonna drive me bad.
But don’t switch off yet.“

Die Wahrheit, die uns hier präsentiert wird, ist ganz schön vertrackt. Freeman erklärt wie furchtbar er das Werben der Politik um Wähler findet, während er um Wähler wirbt. Ich bin mir nicht sicher, ob es langfristig so clever ist beliebte Menschen sagen zu lassen, dass politische Werbung total nervig ist. Aber für den Moment erkauft sich der Spot gegenüber uns erst einmal Authentizität. Wenn der echte Freeman die Wahlslogans so öde und durchschaubar findet wie wir normale Bürger, wird er ja jetzt für Labour keinen Bullshit in die Kamera sprechen. Der Freeman ist jetzt einer von uns.

„See, because I think, in the end it’s simple. It boils down to a choice between a labour government and a conservative one.“

Ohje, hier kann Freeman natürlich nicht lange verweilen. Die Wahrheit ist natürlich nie simpel.

But it isn’t just a choice between two different plans, two different ways of getting the deficit down. It’s a choice between two completely different sets of values. A choice of what kind of country we want to live in.

OK, das hätte jetzt auch Ed Miliband sagen können. Lieber direkt zurück zum privaten Martin Freeman.

3. Das Selbst

„My Values are about community, compassion, decency,
that’s how I was brought up.“

Nun beginnt Freeman etwas wichtigeres als eine Bühne zu bauen, das Selbst. Vor der weißen Wand rahmt er uns die Wahlentscheidung von Grund auf neu, wie Morpheus die Geschichte der Welt. Bei dieser Wahl geht es gar nicht darum wer in die Downing Street einziehen darf, ob das Gesundheitssystem reformiert werden muss oder wie die Staatsschulden abgebaut werden können. Es geht um Werte und ein Gefühl. Und dieses Gefühl sagt Freeman, dass Labour die einzig richtige Wahl ist.

Das kann er an dieser Stelle aber nicht sagen. In der Politik gebietet es sich eine Reihe von Argumenten zu benennen, die eine Entscheidung ganz rational untermauern. Und das Selbst des privaten Martin Freeman ist erst dann glaubhaft, wenn wir seine persönliche Motivation kennen. Dr. Watson musste sich auch erst nach dem Kriegseinsatz zu Tode langweilen um glaubhaft Sherlock Holmes ertragen zu können.

Damit wir uns als Zuschauer des Spots nicht langweilen, kann Freeman jetzt aber nicht einfach zehn gute Gründe für Labour aufsagen. Das wäre anderthalb Minuten vor dem Ende des Spots nicht spannend genug und viel zu eindeutig politische Werbung. Und die treibt uns laut Freeman ja in den Wahnsinn. Man bräuchte einen geschickten Cliffhanger. Etwas das die Spannung hält und Freemans Text auf eine neue, glaubhaftere Ebene hebt:

„So yeah, I could tell you…“

Es folgen zehn gute Gründe — im Konjunktiv. Wobei der Konjunktiv natürlich nur ein wirkungsvoller Trick ist. Bevor wir uns fragen können, was Freeman uns denn eigentlich sagen will, wird der Konjunktiv sogleich wieder aufgehoben. Und zwar mit dem nächsten Cliffhanger:

„…but it’s not just about that!“

Mit diesem rhetorischen Konstrukt kann Freeman haarscharf an einer Ed Miliband Rede vorbei reden. Er kann uns all die Dinge sagen, die wir als Wähler gewohnt sind, ohne wie ein Parteisöldner zu klingen. Dabei bleibt die Spannung im Text erhalten, weil wir natürlich wissen wollen was nach dem Konjunktiv folgt. So prescht Freeman eine Minute lang durch die wichtigsten Positionen von Labour: Finanzpolitik, soziale Gerechtigkeit, das Gesundheitssystem, Bildung. Und all diese Themen begründen nun die persönliche Motivation von Martin Freeman. Gerade dann, wenn er uns darauf hinweist, dass Labour eine für ihn persönlich eher ungünstige Politik plant.

Womit wir wieder bei der emotionalen Klammer ankommen, mit der Freeman sein Selbst begründet hat: Es geht ihm nicht um Reichtum, Popularität oder das Gewinnen einer Wahl. Es geht um „Community, compassion, fairness“. Und deshalb kann ein Schauspieler als Privatmann kurz vor einer Wahl für eine politische Partei vor einer weißen Wand in einem Werbespot bei Minute 2:20 glaubhaft — und ohne Konjunktiv — sagen:

But really for me, there’s only one choice. And I choose Labour.

Eine authentische Inszenierung

Ganz anders verhält es sich mit der Authentizität, wenn man Jemanden sprechen lassen kann, dessen Rolle bereits in höchstem Maße authentisch ist. Dann benötigt man keine Hinterbühne, keinen leeren Raum, und schon gar keinen Konjunktiv.

Im Gegenteil. Man kann alles wofür diese Person steht assoziativ aufladen. Brot, Pfeffer, Salz, ein Glas, ein geteilter Apfel, im Hintergrund eine Madonnenfigur. Und warum eigentlich kein Trompete die Paganini spielt? Es kann paradiesisch werden.

Zur Inszenierung gehört, dass diese durch den Hauptdarsteller ausgeführt wird, nicht durch die Regie. Jeder Schnitt ein Seehofer, sie können das alles senden! Hier wird authentisch inszeniert.

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Von Frédéric Ranft

Ich gestalte Kommunikation.

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