Es ist verdammt verlockend eine bestimmte Wahl für sich zu rechtfertigen, weil sich ja eh nichts ändert. Dann kann man nicht wählen, oder die Wahl ist eben egal. Die Partei, hihi.
Mindestens genau so verlockend ist es aber, eine Wahl zu treffen, damit sich „endlich mal etwas ändert“. Endlich mal Bewegung, etwas unterhaltsames Spektakel, einfach mal neu denken. Vielleicht kann man ja dieses Mal, vielleicht sogar ein für alle Mal, die alten Probleme loswerden. Dafür kann man sich doch begeistern. Das muss doch mal möglich sein!
Die SPD hat schwere Zeiten hinter sich. Da liegt es nahe, etwas grundsätzlich zu verändern. Wenn die Große Koalition der Partei in der Vergangenheit geschadet hat, inhaltlich, personell und bei Wahlergebnissen, muss sich die SPD vielleicht von dieser Koalition befreien. Und alle SPD-Mitglieder und die halbe Republik glauben jetzt, die SPD hätte beim Mitgliedervotum diese Wahl. Jetzt kann sich endlich mal etwas ändern. Nur nicht schon wieder weitermachen wie bisher! Sonst droht der Untergang der Partei! Überall Sargnägel! Die AfD löst die SPD als Partei der „kleinen Leute“ ab!
Soweit die Wirklichkeit.
Die Wahrheit ist aber: „Damit sich mal etwas ändert!“ steht nie zur Wahl. Niemals. Es ist nur eine kitschige Ausrede, die Flucht vor Verantwortung. Es macht klein, raubt einem jede Wahl.
Zur Wahl stehen immer nur „leave“ und „remain“, und „Clinton“ und „Trump“. Mit allen Auswirkungen.
Ich bin unter einer Bedingung bereit #NoGroko zu folgen. Wenn die Kampagne aufhört so zu tun, als gäbe es diese imaginäre Wahl.
#NoGroko heißt Neuwahlen. Damit kann ich leben, das hält unsere Demokratie schon aus. Alles andere zu behaupten ist aber Augenwischerei.
#NoGroko heißt auch Neuwahlen für die AfD. Was nicht bedeutet, dass man Neuwahlen unter allen Umständen verhindern muss. Aber es wird dieser Partei in die Karten spielen. Die Botschaft, dass die „Altparteien“ nicht einmal mehr eine Regierung gegen sie bilden können, ist für die AfD ideal.
#NoGroko heißt, dass der SPD-Parteivorstand beschädigt ist. Es wird Rücktritte geben. Da kann man noch so oft kindisch betonen, dass das nicht Ziel der Wahl sei. In der Politik kann man sich nicht die Augen zuhalten und rufen „Ich seh dich nicht, du siehst mich nicht.“
#NoGroko heißt, dass die SPD einen sehr schweren Wahlkampf bestreiten muss. Die Neuwahl wird schnell kommen müssen. Und insofern es im Willy-Brandt-Haus kein bisher geheim gehaltenes Archiv von grandiosen policy-Forderungen gibt, sieht unser Programm aus wie im letzten Jahr. Und davon steht die Mehrheit bereits im Sondierungspapier. Das müssen wir dann auf Facebook und am Infostand erklären. Auch das geht, aber es wird hart.
Auch #NoGroko wird wahrscheinlich keine linke Mehrheit in Deutschland herbeizaubern können. Das ist die eine Konstante in allen Umfragen und ich wage mal zu prognostizieren, dass die Deutschen bei einer erneuten Wahl eher in Richtung „Kontinuität & Sicherheit“ tendieren. Das hilft Linken selten.
#NoGroko heißt, dass wir unmöglich nach der Neuwahl als kleiner Partner in die Große Koalition eintreten können. Die einzige Chance zu regieren wäre es, stärker zu werden als die CDU. Andernfalls bedeutet #NoGroko Opposition.
In der Opposition bedeutet #NoGroko, dass wir überhaupt gar nichts von unserem Wahlprogramm umsetzen werden. Null.
#NoGroko wird den konservativen Teil der CDU stärken. Merkel wird geschwächt sein, vielleicht sogar gehen. Die AfD wird als „das Original“ die CDU noch stärker treiben können als bisher. Wenn wir dann nicht vor der CDU landen, wird dieses Land vier Jahre sehr konservativ regiert werden. Dann setzen wir nicht nur nix um, wir bekommen auch das Gegenteil von dem, was im Sondierungspapier bereits erkämpft wurde.
Für dieses Szenario braucht #NoGroko mehr als ein Hashtag. Es brauchteinen Plan und nicht nur ein billiges — wenn auch effektives — Framing, das der Wahl in Wahrheit jegliche Wahlmöglichkeit raubt. Demokratie ist kein Spiel. Einen Mitgliederentscheid zu gewinnen, ist noch kein Ziel.
Für eine mögliche Erneuerung der SPD, bin ich bereit diese Risiken einzugehen. Weil ich ja vielleicht einfach etwas übersehe. Ab und an gibt es ja unerwartete politische Erdbeben (Corbyn hat übrigens gar nicht gewonnen). Und weil es das gute Recht der Mitglieder ist, eine Erneuerung der Partei erzwingen zu wollen. Aber vor allem, weil ich fest davon überzeugt bin, dass unser Land die Sozialdemokratie langfristig braucht — egal wie der Mitgliederentscheid ausgeht.
Wenn die SPD gegen die große Koalition stimmt, werde ich wieder für eine starke SPD streiten, für nichts weniger als die Kanzlerschaft. Damit Deutschland wieder eine richtige Wahl hat.
Aber ich bin nicht bereit so zu tun, als gäbe es die Wahl
„damit sich mal etwas ändert!“